Dr. Moshé Feldenkrais - Biografische Notizen

Ost-Galizien - Palästina - Frankreich
Moshé Feldenkrais (im folgenden M.F.) wird am 6. Mai 1904 als Sohn chassidischer Siedler in Slovita / Ost-Galizien (heute Slavuta / Ukraine) geboren. Später zieht die Familie nach Baranowitz / Baranowicze (Polen, heute Baranovic / Weißrussland).

Als 13- oder 14-jähriger verläßt er sein Elternhaus und schlägt sich ein Jahr lang zum damals britischen Mandatsgebiet Palästina durch. Er arbeitet als Bauarbeiter in Tel Aviv und engagiert sich für die Gründung eines unabhängigen Staates Israel. Zwanzigjährig (1924) entschließt er sich, sein Abitur nachzumachen (am Herzl-Gymnasium, 1927) und Mathematik zu studieren.

Da Juden das Tragen von Waffen verboten ist, lernt er von einem britischen Offizier Jiu-Jitsu. Er betreibt gern Sport und wird aktiver Fußballer, hat aber auch vielseitige geistige Interessen, u.a. an Philosophie und Psychologie. So übersetzt er z.B. ein Buch des damals weltberühmten Emil Coué VAutosuggestion". Die Kraft der Selbstbeeinflussung durch positives Denken" ins Hebräische (erscheint 1930).

Seinen Lebensunterhalt verdient er sich u.a. als Landvermesser und Nachhilfelehrer, bevor er ein Stipendium für ein Studium im Ausland erhält. 1929 geht er nach Paris, studiert Mechanik und Elektrotechnik an der Ecole des Travaux Publics; schließt 1933 mit dem Dipl. Ing. ab und nimmt das Studium der angewandten Physik an der Sorbonne auf (Promotion 1945). Am Institut du Radium, Paris, baut und betreut er Apparate für die späteren Chemie-Nobelpreisträger Frédéric und Ir ène Joliot-Curie.

Judo
Seit seiner Zeit in Palästina beschäftigt sich M.F. mit der waffenlosen Selbstverteidigung und wird sogar Jiu-Jitsu-Lehrer bei der Haganah der illegalen Kampforganisation des Jischuw. Er schreibt sein erstes Jiu-Jitsu-Lehrbuch in hebräischer Sprache (1929).

In Paris trifft M.F. 1933 den Begründer des Judo, Prof. Jigoro Kano, lernt bei ihm und wird Mitbegründer des ersten Jiu-Jitsu-Klubs in Frankreich (1936). Als erster Europäer erringt er am 10.2.1939 im Judo den schwarzen Güürtel (1. Dan). Er publiziert bis 1952 drei Judo-Bücher.

Bereits in Palästina hatte er als Erzieher von Kindern mit Lernschwierigkeiten ein Jiu-Jitsu-Prinzip sehr erfolgreich übertragen: Niemals direkt gegen den Widerstand des Gegners angehen, sondern die Stärke des Gegenübers zum Erreichen des eigenen Ziels nutzen. Zwei Judo-Aspekte transponiert er später in seine Methode: Den schwachen Punkt des Gegners aufspüren (nicht um ihn wie beim Jiu-Jitsu durch Imbalancen kampfunfähig zu machen, sondern um hier mit seinen Übungen anzusetzen) und: mit minimaler Kraftanwendung maximale Effizienz erreichen.

England
Er rettet sich und Institutsunterlagen vor den deutschen Besatzern Frankreichs nach Großbritannien (1940). Dort veranlasst der Minister für Zivilverteidigung auf Anraten von Prof. John Desmond Bernal, dass M.F. als Wissenschaftler im Range eines Offiziers beim "H.M. Underwater Detection Establishment" in Fairlie / Schottland zur U-Boot Abwehr eingesetzt wird. Parallel arbeitet er an seiner Doktorarbeit gibt Judo-Stunden und bekommt die Nahkampf-Ausbildung von Fallschirmspringern übertragen.

Ein entscheidendes Erlebnis
Bei einem Sturz auf einem U-Boot zieht er sich eine schlimme Verletzung seines bisher gesunden Knies zu (mit dem anderen laboriert er bereits seit seiner Zeit als aktiver Fußballer). Eine Operation lehnt er wegen höchst zweifelhafter Erfolgsaussichten ab. Stattdessen beschäftigt er, sich intensiv mit Bewegungsabläufen und menschlichem Lernverhalten, hält u.a. Vorträge über den Zusammenhang physiologischer Vorgänge mit Denk- und Gefühlsprozessen (1943), und beginnt mit sich selbst zu experimentieren.

Indem er allgemeine Erkenntnisse aus Biomechanik, Systemtheorie, Kybernetik, Verhaltensforschung und Neurophysiologie auf die Wiedergewinnung seiner Mobilität fokussiert und mit seinen persönlichen Erfahrungen kombiniert, löst er sein Problem. Er studiert seine Körperbewegungen, verfeinert sein kinästhetisches Empfinden und damit bringt sich nach und nach bei, auf eine neue Weise, effizient und wieder schmerzfrei zu gehen.

Dieser Erfolg ist ein Grundstein für Feldenkrais' lebenslange Beschäftigung mit den Zusammenhängen von Bewegung und Bewusstheit. Zunächst wendet er seine Entdeckungen im Bekanntenkreis an, entwickelt einen eigenen Bewegungsunterricht basierend auf Bewegungsmustern von Säuglingen, Falltechniken und Yoga-ähnliche Übungen und daraus schließlich eine Lernmethode.

Nach dem Krieg praktiziert und lehrt M.F. Judo in London (ab 1945). Die dortigen Budokai-(Judo-Klub-)Übungsräume benutzt er zur Fortsetzung seiner praxis- bzw. bewegungsorientierten Lernstudien. Er knüpft verschiedene Kontakte zu Experten, u.a. zu Heinrich Jacobi (Zürich) und F. Matthias Alexander. Er baut eine Lerngruppe auf und experimentiert im Hinblick auf die Wirkungsweise und Effizienz seiner Lernmethode mit den Teilnehmern. Diese unterrichten die ersten von M.F. entwickelten Lektionen, die auch in sein erstes Buch eingehen (Body and Mature Behavior: A Study of Anxiety, Sex, Gravitation and Learning, London 1949, deutsch unter dem Titel: Der Weg zum reifen Selbst. Phänomene menschlichen Verhaltens).

Israel
Er schlägt das großzügige Angebot einer Klientin aus, ein eigenes Institut zu gründen, sondern folgt 1949 einem Ruf des jungen Staates Israel als Direktor der Elektronik-Abteilung beim israelischen Verteidigungsministerium. Bis zu seinem Tod behält er seinen Wohnsitz in Israel. Nebenbei verfasst er ein Nahkampf-Handbuch für die israelische Armee (1951). Er führt seine Arbeit mit Menschen fort, zu den bekanntesten gehören Yehudi Menuhin, Peter Brook, Narcisso Yeppes und Igor Markevitch. Als die Presse über David Ben-Gurions Kopfstand, ein Erfolg von M.F.s Methode berichtet, erhöht sich schlagartig das Interesse.

Feldenkrais-Methode
Ab 1952 widmet sich M.F. ausschließlich der Ausübung und weiteren Entwicklung seiner Methode. Er unternimmt ab 1963 Vortragsreisen in Europa und in den Vereinigten Staaten und beginnt eine Vorlesungstätigkeit an der Universität Tel Aviv. Am alternativen Esalen-Institut, Big Sur / Kalifornien, unterrichtet Feldenkrais 1972 / 1973 jeweils einen Monat, arbeitet in Einzelsitzungen mit Schwerstbehinderten. Er nennt seine Einzelarbeit "Funktionale Integration" und publiziert das Buch Awareness Through Movement: Health Exercises for Personal Growth, Penguin Books, 1972 deutsch unter dem Titel: Bewusstheit durch Bewegung

Schließlich führt M.F. Ausbildungskurse durch: zunächst einen mit 13 Schülern Feldenkrais in Tel Aviv (1968), dann als Gastprofessor am Institut für Humanistische Psychologie, San Francisco (1975 - 1977 mit 65 Studenten); 1980 beginnt er einen mehrjährigen Ausbildungszyklus mit 250 Studenten in Amhurst, Massachusetts / USA. Er erleidet jedoch 1981 einen Gehirnschlag, von dem er sich nicht mehr gänzlich erholt. Dennoch arbeitet und publiziert er weiter (The Elusive Obvious. Cupertino / USA, 1981, deutsch: Die Entdeckung des Selbstverständlichen und The Master Moves. Cupertino / USA, 1984) Er ernennt seine langjährigen Assistenten zu Trainern, damit sie die systematische Aus- und Fortbildung von Feldenkrais-Lehrern weiterführen, was seitdem geschieht.

Moshé Feldenkrais stirbt am 2. Juli 1984 in Tel Aviv/ Israel.

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